Rückenwelt
An einer Skoliose hat niemand Schuld
Professor Dr. Michael Akbar ist Wirbelsäulenspezialist. Wir haben mit ihm über das Thema Skoliose gesprochen. Wie die Krankheit diagnostiziert wird und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, erläutert der Orthopäde im Interview.
Professor Dr. med. Michael Akbar
Experte für Erkrankungen der Wirbelsäule bei Kindern und Erwachsenen an zwei Privatkliniken in Berlin und Heidelberg
Professor Akbar, was ist eine Skoliose?
Akbar: Die Skoliose ist eine dreidimensionale Verformung der Wirbelsäule, die mit einer Seitabweichung einhergeht. Bei dieser Wachstumsstörung kommt es gleichzeitig zu einer Verformung und -drehung der Wirbelkörper. Im Gegensatz zu einer reinen Haltungsschwäche kann die Krümmung der Wirbelsäule nicht alleine, also aus eigener Kraft wieder aufgerichtet werden. Die Diagnose Skoliose stellen wir ab einer seitlichen Verkrümmung der Wirbelsäule von 10 Grad. Schätzungsweise 0,5 bis fünf Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine Skoliose. Man unterscheidet die idiopathische Skoliose, deren Auslöser unbekannt sind, von der sekundären Skoliose. Letztere entwickelt sich aufgrund von anderen Erkrankungen wie Veränderungen der Knochen oder einer Muskel- oder Nervenerkrankung. Die meisten Skoliosen, etwa 85 Prozent, sind idiopathisch.
Welche Risiken gibt es dafür, an einer idiopathischen Skoliose zu erkranken?
Akbar: Warum eine normale Wirbelsäule sich plötzlich verdreht weiterentwickelt, ist bis heute nicht ganz erforscht. Aber wir wissen bereits: Das Auftreten von Skoliosen hängt mit dem Körperwachstum zusammen. Es hat nichts mit falscher Ernährung oder Fehlbelastung zu tun – auch Sport oder Arbeit haben keinen Einfluss auf das Erkranken. Weder der Patient noch die Eltern können etwas dafür, und es trägt niemand die Schuld. Allerdings scheint es eine genetische Veranlagung zu geben, denn Skoliosen treten meist gehäuft in Familien auf: 97 Prozent aller Patienten mit einer idiopathischen Skoliose haben eine positive Familienanamnese. Mädchen sind vier- bis fünfmal häufiger betroffen als Jungen. Fehlentwicklungen lassen sich im Kindes- und Jugendalter gut therapieren, da die Wirbelsäule noch elastisch und formbar ist. Je älter die Patienten und je deutlicher die Krümmung, desto schwieriger und aufwendiger wird die Behandlung.
Welche Symptome gibt es außer Haltungsveränderungen noch?
Akbar: Je nachdem, wo die Krümmung liegt und wie groß sie ist, können die Asymmetrien tatsächlich nur ein optisches Problem sein. Aber die verdrehte Wirbelsäule kann auch Bandscheiben, Wirbelgelenke und die entsprechenden Muskeln stark belasten – Rückenschmerzen und später Arthrose sind die Folge. In schweren Fällen kann die Skoliose sogar die Herz- und Lungenfunktion einschränken. Auch die psychosoziale Belastung durch einen Buckel oder schiefe Haltung darf man nicht unterschätzen.
Wie wird eine Skoliose diagnostiziert?
Akbar: Betroffene Kinder haben meist keine Schmerzen oder andere Beschwerden durch eine beginnende Skoliose.
Daher erfolgt die Diagnose eher durch die Eltern oder als Zufallsbefund bei einem Arztbesuch. Typische Hinweise auf Skoliose sind eine sichtbar gebogene Wirbelsäule, ein deutliches Hervorstehen eines Schulterblattes oder der Rippen sowie ein Schulter- oder Beckenschiefstand. Es ist z. B. sinnvoll, wenn Eltern mit ihren Kindern zum Schwimmen gehen. In Badesachen fallen selbst kleinere Haltungsveränderungen eher auf. Als Ärzte nutzen wir zur ersten Diagnose meist den Adamstest: Dabei beugt der Patient den Oberkörper nach vorne. In dieser Haltung fallen auch schon kleinere Abweichungen auf. Für eine endgültige, belastbare Diagnosestellung sind aber zusätzliche Röntgenbilder und die MRT-Untersuchung der gesamten Wirbelsäule notwendig.
Wie geht es weiter, nach der Diagnose „idiopathische Skoliose“?
Akbar: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: vom Alter des Patienten, vom Schweregrad der Krümmung und vom Voranschreiten. Da sich die Skoliose vor allem während des Wachstums verschlechtern kann, ist es wichtig abschätzen zu können, wie lange der Betroffene noch wächst. Nehmen wir als Beispiel ein noch nicht ausgewachsenes, zwölfjähriges Mädchen mit einer Krümmung von zehn Grad, was eine leichte Skoliose bedeutet. Dieser Patientin würde man zunächst Sport- und Physiotherapie verschreiben. Symmetrische Sportarten wie Reiten, Balletttanz, Klettern oder Schwimmen sowie eine Kräftigung der Bauch- und Rückenmuskulatur sind sinnvoll. Ziel ist es, durch Muskelaufbau die Wirbelsäule zu kräftigen und zu stabilisieren und so die Fehlstellung der Wirbelsäule weitgehend zu korrigieren – und ein Fortschreiten zu verhindern.
Wie sieht die Therapie aus, wenn eine fortgeschrittene Skoliose vorliegt?
Akbar: Bei einer Skoliose von 20 bis 50 Grad würde man der Patientin zusätzlich zur Physiotherapie zu einer Korsetttherapie raten. Das ist für Jugendliche sehr belastend, da das Korsett konsequent getragen werden muss, um Erfolge zu erzielen – etwa 18 Stunden täglich. Es fixiert den Becken- und Schultergürtel gegen Verdrehung und kann eine passive Korrektur der Skoliose bewirken. Es ist allerdings nur bei Patienten wirksam, die noch deutlich im Bereich der Wirbelsäule wachsen.
Wann ist eine Operation notwendig?
Akbar: Schwere Skoliosen mit einer fortschreitenden Krümmung ab 40 bis 50 Grad müssen in der Regel operiert werden. Ein Korsett ist ab höheren Krümmungsgraden anatomisch und technisch kaum noch möglich und nicht wirksam. Physiotherapie und Sport alleine würden nicht zum gewünschten Erfolg führen. Die letzte Möglichkeit ist dann die Operation. Zum Glück sind solche schweren Fälle extrem selten. Und wichtig zu wissen: vorherige konservative Behandlungen haben keinen negativen Einfluss auf den Erfolg einer OP, man kann damit also nichts kaputt machen. Ziel einer Skoliose-Operation ist es, die Verkrümmung aufzurichten, die Rotation zu beseitigen und die Wirbelsäule so mit Implantaten zu fixieren. Die Erfolgsaussichten einer solchen Operation sind meist sehr gut, ziehen aber eine relativ lange Rehabilitationszeit nach sich.