Rückenwelt
Schutzfaktor: Bewegung
Dr. phil. Heike Juliane Streicher weiß, dass körperlich-sportliche Aktivität bei der Genesung und Prävention vieler Krankheiten ganzheitlich helfen kann. In einem Interview gibt die Sportwissenschaftlerin Einblicke in den Bereich der Sporttherapie.
Dr. phil. Heike Juliane Streicher
Expertin für bewegungsbezogene Gesundheitsförderung am Institut für Gesundheitssport und Public Health an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig
Frau Dr. Streicher, was kann man sich unter Sporttherapie vorstellen?
Streicher: Sporttherapie ist eine Form der Bewegungstherapie. Ihr Ansatz geht über ein simples Trainingskonzept hinaus und zielt auf eine ganzheitliche Sichtweise in Verbindung von Medizin, Rehabilitation und Sportwissenschaft. Das Vorgehen wird als mehrdimensional bezeichnet, da es zum einen funktionale, zum anderen aber auch psychosoziale und pädagogische Ziele verfolgt. Erst das Zusammenspiel dieser Dimensionen führt zu einer therapeutischen Wirkung. Ebenso dient die Sporttherapie der Verbesserung der Funktionen des muskuloskelettalen Systems, weshalb maßgeblich die motorischen Grundeigenschaften Kraft, Koordination, Ausdauer und Beweglichkeit gut dosiert angesprochen werden.
Worin besteht das Kernziel?
Streicher: Es werden therapeutische Maßnahmen zur gesundheitsorientierten Prävention und Rehabilitation verfolgt. Insgesamt besteht das Kernziel darin, dass der Mensch eine Motivation erreicht, lebensbegleitend Sport zu treiben oder zumindest vermehrt körperlich aktiv zu sein. Damit geht parallel eine Lebensstiländerung einher, die den Menschen Kompetenzen erreichen lässt, eigenständig und selbstgesteuert Bewegung und Sport ausüben zu können.
Gibt es einen Unterschied zwischen Sport- und Physiotherapie?
Streicher: Das kann man gar nicht so leicht beantworten – die Trennschärfe ist gering. Physiotherapeuten behandeln vordergründig in einem 1:1 Verhältnis mit dem Patienten, während Sporttherapeuten Übungen und Bewegungselemente häufig auch in Gruppenformation anleiten. In der Physiotherapie geht es dominant um die Mobilisierung und Stabilisierung von Gelenksystemen. Dabei werden Bewegungsübungen aus speziellen Therapieformen (z.B. Manuelle Therapie, Lymphdrainage usw.) oder Massageformen, aber auch physikalische Anwendungen (z.B. Elektrotherapie) verwendet. Es wird sich stark auf die physischen Symptome konzentriert, wohingegen die Sporttherapie Sport und Bewegung auch als Mittel zur Beeinflussung psychischer und sozialer Komponenten nutzt.
Wer braucht bei welcher Art von ‘Verletzung’ welche Hilfe?
Streicher: Das ist immer abhängig von der Diagnose. Neben der häufig zuerst notwendigen Physiotherapie wird insbesondere bei posttraumatischen bzw. postoperativen orthopädischen Verletzungen zur Durchführung von sporttherapeutischen Maßnahmen geraten. Dadurch wird die Muskulatur wieder aufgebaut und stabilisiert und damit einer möglichen Dekonditionierung – d.h. Verminderung der Muskelkraft, Ausdauerleistung und allgemeine Fitness – entgegengewirkt.
Aber auch bei Herz-Kreislauf- und internistischen Erkrankungen kommt der Sporttherapie – mit ausgewählten Bewegungselementen und Behandlungsprogrammen – immer mehr Bedeutung zu. Im Hinblick auf die positive Wirkung von Bewegung als Medikation ist die körperlich-sportliche Aktivität also ein hoher Schutzfaktor für unsere Gesundheit!
Welche Trainingsmethoden werden in der Sporttherapie angewandt?
Streicher: Da wird sich den verschiedensten Sportarten bedient. Um nur ein paar Beispiele anzuführen: Es gibt die sogenannte Fahrradergometrie – ein Test- und Trainingsverfahren zur Beurteilung und Beeinflussung der Herz-Kreislauf-Fähigkeit, häufig unter Überwachung von EKG und Blutdruck. Nach orthopädischen Indikationen wird meist auf ein gerätegestütztes Training gesetzt (die Medizinische Trainingstherapie), das insbesondere die Kraftfähigkeiten verbessern soll. Bei der Wassertherapie nutzt man die physikalischen Eigenschaften des Wassers (u.a. Auftrieb, Gewichtsreduzierung), um die jeweiligen Gelenkfunktionen zu beeinflussen. Doch es kann auch in den Bereich der Entspannungsverfahren gehen, bei dem die Betroffenen mittels mental-, körperlich- oder atemzentrierter Zugänge spezielle Methoden erlernen. Immer öfter kommen auch Outdoor-Bewegungsmaßnahmen – verbunden mit einem Naturerleben - zur Anwendung – wie etwa Wandern, Mountainbiking, Nordic Walking oder Skilanglauf.
Welche Rolle spielt dabei das Thema Rückengesundheit?
Streicher: Die Sporttherapie kann definitiv einen Beitrag zur Rückengesundheit leisten, da durch gezielte Kraft- oder Koordinationseinheiten die Rumpf- und Rückenmuskulatur beeinflusst wird. Dadurch kann sie ihrer stabilisierenden Funktion in Bezug auf die Wirbelsäule besser gerecht werden. Ein gesunder Rücken kann zudem zu einer umfangreichen Genesung beitragen. Denn Rückenübungen können allein schon bei der Prophylaxe rumpfbezogener Symptomatiken eine Rolle spielen oder aber bei eingeschränkten Gelenkfunktionen für die Prävention einer Dekonditionierung relevant sein.
Außerdem steigert Bewegung auch die Lebensfreude, denn zumindest temporär werden nach körperlicher Belastung Hormone ausgeschüttet, die das eigene Wohlbefinden positiv beeinflussen.
Welche Tipps können Sie den Menschen geben, die sich aktuell in Sporttherapie befinden?
Streicher: In erster Linie natürlich an sich selbst zu glauben und optimistisch zu bleiben; die Chance zu nutzen, das eigene Gesundheitswissen für das Erreichen eines gesunden Lebensstils zu erweitern, langfristig anzuwenden und damit einen bedeutenden Schutzfaktor für die Gesundheit herzustellen. Zudem sollte die Ganzheitlichkeit für sich selbst erkannt werden: Zum Beispiel müssen Rückenschmerzen nicht immer nur ein Problem der Wirbelsäule und seiner Muskulatur sein, sondern können auch mit der allgemeinen Befindlichkeit bzw. der Psyche zusammenhängen.
Wie achten Sie persönlich auf Ihre (Rücken)gesundheit im Alltag?
Streicher: (Rücken)gesundheit heißt für mich: Bewegung! Meinen Alltag zu versportlichen! Das fängt bereits im Kleinen Zuhause an: Brot mit der Hand schneiden, Zähneputzen auf einem Bein, die Kaffeemühle selbst betätigen und ein rundum aktiver Haushalt. Im Büro kann es die wechselnd stehend-sitzende Haltung am Schreibtisch sein oder der Aktivstuhl ohne Lehne, sowie das bewusste Integrieren von Laufwegen bspw. zum Kopierer und das Vermeiden des Aufzugs. Zusätzlich gestaltet sich mein Arbeitsweg aktiv mittels Fahrrad und in meiner Freizeit gehe ich verschiedensten sportlichen Aktivitäten nach, wie z. B. Yoga und Joggen. Auch die Ernährung spielt eine wesentliche Rolle – ganz nach dem Motto “Du bist, was du isst” und “das Maß macht's" gibt es Gesundes (ausgewogen, fleisch-, salz-, zuckerarm und bunt), verbunden mit einem gesunden Genuss.