40 AGR Fernlehrgang | Von der Verhaltens- zur Verhältnisprävention | Auflage 9, 2024 wirken (siehe Abb. 1). Insbesondere im Muskel-SkelettApparat auftretende chronische Schmerzen sind dabei als Folge von Fehlgestaltungen von Bedeutung. Die Tendenz geht deshalb zu einer ganzheitlichen Gesundheitsförderung im Berufsfeld (Gesundheitsbericht des Bundes 1998). In den vergangenen zwanzig Jahren sind bereits eine Anzahl von wissenschaftlichen Studien durchgeführt worden, die den möglichen Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Mängeln in der Arbeitsgestaltung untersucht haben. Im weiteren Verlauf sollen an ausgewählten Untersuchungen der synergetische Effekt und die Ursache-Wirkungs-Beziehungen von physischen und psychischen Belastungsfaktoren auf die jeweiligen Beanspruchungsfolgen aufgezeigt werden. Kommen jetzt noch psychosoziale Stressoren hinzu (z. B. fehlende Tätigkeitsspielräume, keine oder geringe soziale Unterstützung), führt dies bei entsprechenden Tätigkeiten einerseits zu muskulärer Beanspruchung und andererseits zu psychischer Überforderung oder auch zu Unterforderung. Dies kann sich durch ausgeprägte Risiken insbesondere für Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-Erkrankungen äußern. Im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements spielt die Prävention eine wesentliche Rolle. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Stärkung der Primärprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass stets physische und psychische Belastungen auf den Menschen einBELASTUNGEN TÄTIGKEIT BEANSPRUCHUNGEN Von außen auf den Menschen einwirkend z. B. Lärm, Arbeitsauftrag Reaktionen auf die Belastung z. B. durch Anregung, Motivation, Erschöpfung, Krankheit Abbildung 1: Wechselwirkung zwischen Tätigkeit-Belastungen-Beanspruchungen (Schmidt) Cinderella-Modell Beispielsweise haben die Arbeiten zum sogenannten Cinderella-Effekt gezeigt, dass es weniger die Intensität der Muskelanspannung bei statischer Arbeit ist, die zu Überforderungen führen kann (z. B. bei Bildschirmarbeitsplätzen), als vielmehr die fehlenden Entspannungs- und Kurzpausenmöglichkeiten ständig aktivierter Muskeln. Das ist ganz so wie bei Aschenputtel im Märchen, die täglich als Erste aufsteht und als Letzte zu Bett geht. Es werden zu Beginn einer Muskelaktivierung stets die gleichen motorischen Einheiten zuerst erregt und bei der Deaktivierung des Muskels zuletzt inaktiv. Also kann auf der einen Seite auch bei geringer Muskelkraft bei diesen motorischen Einheiten eine Daueraktivität vorliegen, die auf längere Sicht zu einer Degeneration der Muskelfasern und in der Folge zu Muskelschmerzen führt (siehe Abb. 2). Auf der anderen Seite kann es unabhängig von der Schwere der körperlichen Arbeit zur An- und Entspannung von Muskelfasern kommen (z. B. beim schweren Heben von Kisten). Dies kann psychische Ursachen, wie zum Beispiel erhöhten Zeitdruck, hohes andauerndes Arbeitspensum und geringe Rückmeldung durch den Vorgesetzten haben. Dadurch wird ein ganz bestimmter Typ von Muskelfasern (slow switch), die eine geringe Reizschwelle haben, als erste aktiviert sowie deaktiviert. Dieser
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