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7 vor, etwa mit Arbeiten oder rückenfordernden Freizeitaktivitäten“, betont Joachim Grifka. Bewegung ist die beste Medizin Sehr sinnvoll ist dagegen, sich bei Rücken- schmerzen nicht ins Bett zu legen, sondern in Bewegung zu kommen. Mit sanften Deh- nungsübungen können dann sogar blockierte Wirbelgelenke wieder gleiten. Mit Bewegung ist allerdings kein Sport gemeint, sondern ge- mütliches Spazierengehen. „Wer Beschwerden hat, muss die körperliche Belastung auf den schmerzfreien Bewegungsraum beschränken“, warnt Joachim Grifka. „Wer mit Schmerzen trainiert, verschlimmert die Symptomatik.“ Guter Schlaf gehört ebenfalls zum Relax-Pro- gramm für den Rücken. Prof. Grifka erläutert, warum er so wichtig ist: „In der Senkrechten – also im Sitzen, Stehen und Gehen – sind unsere Rumpfmuskeln ständig angespannt, weil sie die beweglichenWirbelkörper mit den Bandscheiben stabilisieren müssen. Im Liegen lastet dagegen kein Druck auf der Wirbelsäu- le.“ Dann lässt nicht nur die Rumpfmuskulatur locker. Auch die Bandscheiben, die die Stoß- dämpfer der Wirbelsäule sind, regenerieren. Sie bestehen aus einem faserigen Bindege- websring, gefüllt mit weichem Gallert, das zum überwiegenden Teil aus Wasser besteht. Sind wir tagsüber in Bewegung, wird die ver- brauchte Flüssigkeit aus dem Inneren her- ausgepresst. Im Liegen saugt sich die weiche Masse ähnlich wie ein Schwamm wieder auf. Eine gute Haltung beugt Schmerzen vor Laut AktionGesunder Rücken e.V.(AGR) klagen 44 Prozent der Menschen mit einem Bürojob mindestens einmal proWoche über Kreuzweh. Eigentlich keinWunder, denn im Sitzen ist der Druck, der auf den Bandscheiben lastet, fast doppelt so hoch wie beim aufrechten Stehen. Doch die Beschwerden lassen sich vermeiden – durch einen ergonomischen Arbeitsplatz, bei dem sich Schreibtischstuhl und idealerweise auch Schreibtisch an die individuelle Größe anpassen lassen. „Bei der Einstellung kann man sich wieder daran orientieren, dass die Lendenwirbelsäule möglichst gerade sein soll“, so Joachim Grifka. Auch derWechsel zwischen Sitzen und Stehen kann den Rücken entlasten. „Achten Sie beim Arbeiten im Stehen aber da- rauf, dass Sie einen Fuß höherstellen können. Denn bleiben beide Füße am Boden, neigt sich das Becken etwas nach vorn, was die Len- denwirbelsäule ins Hohlkreuz drängt.“ Diese Position überlastet die kleinen Wirbelgelenke der Wirbelsäule, was mit der Zeit womöglich Einengungen im Wirbelkanal nach sich zieht. Vergessen Sie auch nicht, sich immer wieder am Computer zu bewegen: aufstehen, ein paar Schritte gehen, sich genüsslich strecken, den Oberkörper zu beiden Seiten drehen, die Arme ausschütteln, die Schulter kreisen las- sen, den Kopf vorsichtig nach beiden Seiten drehen und das Ohr Richtung Schulter kippen. Die beste Strategie gegen Rückenschmerzen? Training der Rumpfmuskeln! Denn sie sind der Schutzschild der Wirbelsäule. Die kräftigen- den Übungen sollten so selbstverständlich sein wie das Zähneputzen. „Wichtig ist dabei, Rücken- und Bauchmuskeln gleichermaßen zu stärken. Denn nur gemeinsam bilden sie ein Muskelkorsett, das dem Rücken Halt gibt“, sagt Prof. Grifka. Entscheidend ist zudem, die Tiefenmuskulatur zu stärken. Sie balanciert den Körper ständig aus und hält uns aufrecht, ohnedasswiresmerken.Willentlichlassensich die kleinen Muskeln um die Wirbelsäule nicht ansteuern, doch sie reagieren auf Balance- übungen – etwa den Einbeinstand: dafür je dreimal zehn Sekunden nur auf dem rechten Fuß und zehn Sekunden nur auf dem linken Fuß stehen. Nach und nach die Standzeit verlängern. Fortgeschrittene können das frei schwebende Bein nach vorn oben anwinkeln und wieder absenken, ohne dass der Fuß den Boden berührt. Wer effektiv Muskeln aufbauen möchte, sollte die Übungen mindestens zweimal pro Woche machen und jede so lange wiederholen, bis die Anstrengung deutlich spürbar wird. Ideal wäre zudem, sich täglich fünf bis zehn Minu- ten Zeit für Stretching und die Mobilisation der Wirbelsäule zu nehmen. Denn bereits ab dem 25. Lebensjahr wird unser Körper unbe- weglicher und jenseits der 50 verstärkt sich die Steifigkeit immer schneller. Verschleiß muss nicht wehtun Dass sich die Wirbelsäule im Laufe der Jahre etwas abnutzt, ist nicht krankhaft. Das gehört genauso zum Leben wie Haare, die grau wer- den. „Bei Menschen über 60 sind beispiels- weise meist die Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule ausgetrocknet und da- durch flacher“, weiß Prof. Grifka. Der Körper ist jedoch durchaus in der Lage, sich an diesen Verschleiß anzupassen – vorausgesetzt, man geht pfleglich mit sich um. Deshalb gibt es Menschen, die keine Beschwerden haben, aber deren Röntgen- oder MRT-Bild Abnutzungser- scheinungen zeigt. „Wenn ein Patient Rücken- schmerzen hat, darf der Arzt also nicht zwin- gend davon ausgehen, dass der Verschleiß die Ursache für die Beschwerden ist“, betont der Orthopäde. „Deshalb darf auch nie nur auf Basis eines bildgebenden Verfahrens operiert werden.“ Bei banalen Rückenschmerzen ist das Röntgen in der Regel erst dann sinnvoll, wenn die Beschwerden auch nach mehrwö- chiger Therapie nicht verschwinden. „Nur in wenigen Fällen kann ein Eingriff an der Wirbelsäule sinnvoll sein, beispielsweise wenn es eine konkrete krankhafte Veränderung gibt, die eindeutig die Ursache der Beschwerden ist, oder der Schmerz von Nervenausfällen und Lähmungen begleitet wird“, ordnet der Fach- arzt für Spezielle orthopädische Chirurgie ein. Prof. Joachim Grifka, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Regensburg im Asklepios Klinikum Bad Abbach, Facharzt für Orthopädie sowie Sportmedizin Dagegen ist ein Bandscheibenvorfall, der Nerven irritiert, keinesfalls gleich ein Grund zu operieren. „Sofern keine akute Lähmung vor- liegt, muss grundsätzlich erst die konservative Behandlung intensiv ausgeschöpft werden.“ Denn selbst bei starken Beschwerden helfen meist individuell abgestimmte, ambulante oder stationäre konservative Therapiekon- zepte – dabei steht die Physiotherapie mit Krankengymnastik und verschiedenen manu- ellen Techniken im Vordergrund. „Der zentrale Punkt, die Rückenbeschwerden in den Griff zu bekommen, ist aber das selbstständige Trainie- ren einfacher Übungen“, ergänzt Prof. Grifka. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der BUNTE Gesundheit 2020 RÜCKENBESCHWERDEN Foto: © Orthopädische Klinik der Universität Regensburg GUTER RATGEBER Wer Beschwerden im Kreuz vorbeugen möchte oder bereits welche hat, wird in „Rücken“ von Prof. Grifka bestens zur Selbsthilfe angeleitet (Zuckschwerdt Verlag, 20 Euro)
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