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7 schen Praxisalltag aus. Von akut spricht man dann, wenn starke Schmerzen in Folge einer ungünstigen Belastung oder Bewegung plötz- lich auftreten. Die Angst, einen Prolaps nuclei pulposi, so die medizinische Bezeichnung für einen Bandscheibenvorfall, zu erleiden, ist in den meisten Fällen unbegründet. „Und selbst wenn tatsächlich eine Bandscheibe verant- wortlich für die Schmerzen sein sollte, lassen sich die Beschwerden meist gut ohne OP be- handeln“, erklärt Dr. Buchholz. Was passiert bei einem Bandscheibenvorfall? Bei einem Bandscheibenvorfall tritt der Gal- lertkern der Bandscheibe durch den Faserring, der ihn umgibt. Der Fasering kann beispiels- weise durch degenerative (verschleißbeding- te) Veränderungen defekt sein. Drückt die ausgetretene Masse auf einen Nerv bzw. auf das Rückenmark, kann dies starke Schmerzen und eventuell sogar einTaubheitsgefühl in den Extremitäten verursachen. Besonders häufig tritt ein Bandscheibenvorfall im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule auf, seltener im Bereich der Halswirbelsäule.„Typisch für einen klassischen Bandscheibenschmerz ist, dass er gar nicht so stark dort auftritt, wo der Band- scheibenvorfall stattfindet, also im Bereich der Lendenwirbelsäule, sondern der Schmerz strahlt in Bein und Fuß aus“, so der Hambur- ger Orthopäde. „Das Ausbreitungsgebiet des Schmerzes und die Sensibilitätsstörungen wie Missempfindungen, Kribbeln oder Taubheits- gefühl sind abhängig davon, welche Nerven betroffen sind“. Meist beeinträchtigen die Schmerzen die Betroffenen so stark, dass sie umgehend einen Arzt aufsuchen. Um einen Bandscheibenvorfall zu diagnostizieren, sind normalerweise eine körperliche Untersuchung sowie die Lokalisation des Schmerzes und der Schmerzausstrahlung in Kombination mit ei- ner neurologischen Untersuchung – also der Überprüfung von Nervenstörungen – ausrei- chend. Bildgebende Verfahren wie Röntgen, CT oder MRT sind hingegen in der Regel nur zur Bestätigung der Verdachts- diagnose notwendig. Auch wenn sich starke Rü- ckenschmerzen aufgrund ihrer Intensität anfühlen wie ein Bandscheibenvor- fall, handelt es sich fast immer um unspezifische Rückenschmerzen ohne Betei- ligung der Bandscheiben. „Rücken- schmerzen werden von den Patienten fast immer mit einem Bandscheibenvorfall assoziiert“, berichtet Dr. Buchholz aus seiner Praxis. „Allerdings ist nur in sehr seltenen Fäl- len ein akuter Bandscheibenvorfall Grund für die Beschwerden. Weitaus häufiger sind Ver- schleißerscheinungen an den Facettengelen- ken im Lendenwirbelsäulenbereich als Folge von Fehl- oder Überbelastungen sowie funk- tionelle Schmerzen ohne konkrete Ursache Auslöser der Beschwerden. Wichtig ist es, dem Patienten frühestmöglich die Sicherheit zu ge- ben, dass es sich nicht zwangsläufig um einen Bandscheibenvorfall handeln muss. Zudem sollte dem Patienten klar gemacht werden, dass die Behandlung einige Zeit dauern wird – bei konsequenter Therapie, Rückenschmer- zen aber sehr gut auch konservativ, d. h. ohne Operation zu behandeln sind“. Meist bessern sich die Beschwerden durch Bewegung und Physiotherapie sowie eine kurzzeitige Einnah- me von Schmerzmitteln wieder. Eine Bandscheiben-Operation ist meist unnötig Auch wenn eine OP auf den ersten Blick als Therapieoption der ersten Wahl erscheinen mag, sollte dieser Schritt wohl überlegt sein. Denn auch unkomplizierte operative Eingriffe bergen immer gewisse Risiken und die Gefahr von Folgeschäden. „Jede nicht erfolgte Ope- ration vermeidet Komplikationen“, weiß Dr. Buchholz. Beschwerden, die auf der Grundlage eines Bandscheibenschadens auftreten, werden oft unnötigerweise operiert. Die gute Nachricht: In den meisten Fällen ist eine Operation eines akuten Bandscheiben- vorfalles nicht notwendig und er lässt sich mit konservativen Methoden behandeln. Eine bildgebende Untersuchung sollte zudem erst durchgeführt werden, wenn nach mindestens sechswöchiger konsequenter Therapie – meist ein Mix aus Schmerzmedikation, lokaler Infil- trationsbehandlung (Spritzen), leichter Bewe- gungs- und Physiotherapie – keine Besserung eingetreten ist. „Inzwischen wissen wir, dass durch zu früh erstellte Rönt- genaufnahmen und insbeson- dere detailgetreue Kernspin- aufnahmen Veränderungen gesehen werden, die gar nicht für die Schmerzen verantwortlich sind“, so der Hamburger Arzt. „Und selbst ein sichtbarer aku- ter Bandscheibenvorfall kann häu- fig mit konservativen Methoden so gut behandelt werden, dass der Patient mit den Beschwerden gut leben kann“. Eine alternati- ve konservative Behandlungsmethode ist die sogenannte PRT (Periradikuläre Therapie). „Bei dieser Methode wird ein Schmerzmedikament, meist ein Lokalanästhetikum in Kombination mit einem Cortisonpräparat direkt an die be- troffene Nervenwurzel gespritzt“, erklärt Dr. Buchholz. „Durch die Injektion des Medika- ments bildet sich die Schwellung zurück und die Schmerzen lassen nach. Zusätzlich können weitere neurologische Störungen wie zumBei- spiel eine Schädigung der Muskulatur verhin- dert werden.“ Auch bei Petra Lange* brachte diese Behandlung innerhalb kurzer Zeit den gewünschten Erfolg und die Schmerzen bes- serten sich. Nach konsequenter Krankengym- Dr. med. Martin Buchholz Facharzt für Chirur- gie und Orthopädie • bis 2016: Vor- standsmitglied im Bundesverband deutscher Rückenschulen (BdR) e. V. • bis 2017: Niedergelassener Or- thopäde, Praxisgemeinschaft Dr. Buchholz & Partner, Hamburg, www.orthopaediecentrum.de • seit 2017: Vorstand des Vereins „Ich kann Leben retten!“ e. V., www.iklr.de Zur Person „Jede nicht erfolgte Operation vermeidet Kompli- kationen“ Foto: © psdesign1 / Fotolia AKUTER BANDSCHEIBENVORFALL
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