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44 Aktion Gesunder Zur Person Dr. Dieter Breithecker Vorstandsmitglied im Forum Gesunder Rücken – besser leben e.V. Sportwissenschaftler Präsident der Bundesarbeitsge - meinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e.V. www.haltungbewegung.de KINDERRÜCKEN Foto: © goodmoments / Fotolia Ganzheitliche Konzepte fördern die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen 1950* * Die Grafiken zeigen die Verhaltensänderung von Heranwachsenden seit 1950. Immer weniger Bewegung, immer längere Sitzzeiten. Wohlbefinden, Gesundheit und Bildung basieren auf gesunden Lebensverhäl- nissen in der Kindheit Die Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten verän- dert – insbesondere für Kinder und Jugendliche. Sie müssen gerade in der hochsensiblen und zukunftsweisenden Entwicklungsphase, in der sie körperlich, geistig und seelisch reifen, mit zunehmend komplexeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen umgehen. LehrerInnen, ÄrztInnen, Eltern und GesundheitspolitikerIn- nen suchen seit Jahren nach Lösungen, wie sich Einflüsse und Rahmenbedingungen, die für die biopsychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen entscheidend sind, verbessern lassen. Für Probleme sorgen vor allem unge- sunde Ernährungsgewohnheiten, die Zunahme an psychosozialen Belastungen und einMangel an altersgerechter und vor allem regelmäßiger Bewegung. Entwicklungsbremse Sitzen und Bewegungsmangel Schon lange ist unstrittig, dass regelmäßige körperliche Bewegung einen großen gesund- heitlichen Nutzen hat. Relativ neu sind aber Daten, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen Sitzzeiten und dem Auftreten von chronischen Erkrankungen aufzeigen. Dabei sind die Probleme umso größer, je mehr Zeit Kinder und Jugendliche vor Bildschirmen ver- bringen (Thiemann 2012, Spitzer 2015). Eine Querschnittstudie an über 6.500 Kindern zwischen 9 und 11 Jahren zeigt ein enges Zu- sammenspiel von Sitzzeiten, Abnahme der kör- perlichen Aktivität und dem Risiko für Überge- wicht (Katzmarzyk et al. 2015). Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen (Santaliest- ra-Paias et al. 2015, Herman et al. 2015). Mit der Einschulung von Kindern nehmen die Zeiten, in denen sie sitzen, deutlich zu. Die Auswertung einer Fragebogenerhebung ergab, dass Kinder und Jugendliche umso länger sitzen, je älter sie sind. Befragt wurden Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 20 Jahren (Huber, Köppel 2017). Diese Ergeb- nisse decken sich mit denen aus internationalen Studien (Matthews et al. 2008, Ortega et al. 2013). Damit wird klar: Stunden- langes Sitzen in der Schule, die unreflektierte Nutzung von Computern, Smartphones, Spiele- konsolen und Fernsehern sowie der Rückgang an spielerischen und selbstorgani- sierten Bewegungen stellen sich zunehmend als Entwicklungsbremse heraus. Bewegung ist ein Grundbedürfnis und ein Kulturgut Die Rolle, die körperliche Aktivität für eine ge- sunde körperliche, psychosoziale und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen spielt, ist unbestritten (Graf et al. 2015, Tim- mons et al 2012). Bewegung ist nicht nur für die (sport-)motorische Entwicklung bedeutend. Über vielseitige, selbstwirksame und spontane Spiel- und Bewegungsaktivitäten bauen Kinder und Jugendliche auch geistige und sozial-emo- tionale Handlungskompetenzen auf. Sie bilden die Grundlage der gesamten Persönlichkeits- entwicklung und sind deshalb für Gesundheit, Bildung und Sozialkompetenz im Erwachse- nenalter entscheidend. Bewegung ist mehr als nur Sport. Vielmehr bildet sie eine übergreifen- de didaktische Klammer für die Förderung von Lernfertigkeit, Sprachkompetenz, sozialen Fä- higkeiten und der Gesundheitsfürsorge. In Innenräumen Bewegungsraum schaffen Heute verbringen Heranwachsende in Kinder- garten, Schule, Ganztagseinrichtungen und Freizeit mehr Zeit in geschlossenen Räu- men als früher. Die Räume sollten deshalb so gestaltet sein, dass sie bedarfsgerechte und entwick- lungsfördernde Bewegung nicht nur ermöglichen, sondern regel- recht einfordern (Verhältnisprä- vention). So sollte beispielsweise der Lern- und Lebensraum Schule ein Ort sein, in dem SchülerInnen nur wenig Zeit mit Stillsitzen verbringen. Offe- ne Lernsituationen, schülerzentriertes Lernen sowie wechselnde Sozial- und Organisations- formen sorgen automatisch dafür, dass Schü- lerInnen ihre Körperhaltungen häufig wech- seln und an vielfältige Situationen anpassen und dass sie in den Innen- und Außenräumen einer Schule ständig in Bewegung sind. Vor- aussetzung dafür ist, dass Lehrkräfte innova- tive pädagogische Konzepte anbieten und die Schule so angelegt und eingerichtet ist, dass physiologische Bewegungsanreize entstehen. Die Schulmöbel sollten so gestaltet sein, dass
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