Interdisziplinäre Fachbeiträge 30 AGR aktuell 2024/72 | Aktion Gesunder Rücken e. V. wäre ideal, ein Messsystem direkt an der Stelle einzusetzen, an der die Belastung der Lendenwirbelsäule gemessen werden soll. Dies würde bedeuten, einen Messaufnehmer per invasivem Eingriff zwischen den Wirbelkörpern der Wirbelsäule zu platzieren (Nachemson 1981; Wilke et al. 2001; Dreischarf et al. 2016). Um einen solch aufwendigen Eingriff zu vermeiden, wird seit einigen Jahrzehnten an der Entwicklung von Computermodellen gearbeitet, die physiologische und physikalische Parameter nutzen und aufgrund von wissenschaftlicher Forschung bereits vorhanden sind. Diese werden mit Daten aus Bewegungsmessungen, wie zum Beispiel die Geschwindigkeit einer Bewegung, kombiniert. Es ist wichtig zu wissen, dass die Kräfte, die auf die Lendenwirbelsäule wirken, hauptsächlich auf Muskelkontraktionen beruhen. Ein neues, innovatives Verfahren, das die Belastung von Gelenken und Muskeln in einer sehr guten und validen Qualität darstellen kann, ist die ComputerMyoGrafie (CMG). Dieses humane 3D- Muskel-Skelett-Computermodell, Myonardo©, ermöglicht einen detaillierten Einblick in den digitalen „menschlichen Zwilling“ (Wagner et al. 2023, 2024). Das Computermodell visualisiert die beim Heben eines Gewichtes auftretenden Belastungen in der Lendenwirbelsäule auf eine leicht verständliche und anschauliche Weise. Was wurde gemessen? Zehn gesunde Probanden wurden dazu aufgefordert, einen zehn Kilogramm schweren Kasten in drei unterschiedlichen Hebetechniken (Freestyle, Squat, Stoop) bei jeweils drei verschiedenen, selbst gewählten Hebegeschwindigkeiten (langsam, moderat, schnell) zu heben. Der Squat sollte mit geradem Rücken ausgeführt werden, Knie und Hüfte sind dabei gebeugt. Beim Stoop ist die Lendenwirbelsäule deutlich gebeugt, die Knie sind möglichst gestreckt bei gleichzeitig gebeugter Hüfte. Beim „Freestyle-Heben“ sollten die Probanden den Kasten nach eigenem Ermessen beid- armig heben, wobei die Füße auf dem Boden bleiben sollten. Die moderate Hebegeschwindigkeit sollte einer gewöhnlichen, für die Probanden angenehmen Geschwindigkeit entsprechen. Die beiden anderen Hebeübungen wurden entsprechend langsamer bzw. schneller ausgeführt. Die dabei gewonnenen kinematischen Daten wurden mit einem IMU-basierten Bewegungserfassungssystem (IMU: Inertial Measurement Unit = Trägheitsmesseinheit) aufgezeichnet (Fa. Movella Inc., Enschede, Niederlande). Die Bodenreaktionskräfte wurden mit drei eingebetteten Kraftmessplatten (Fa. Kistler Instrumente AG, Winterthur, Schweiz) erfasst, während gleichzeitig die Positionen der Füße und Unterschenkel mit einem optischen Bewegungserfassungssystem (Fa. Qualisys, Göteborg, Schweden) identifiziert wurden. Wie kann aus diesen Daten die Belastung der Wirbelsäule berechnet werden? Die aufgezeichneten Daten wurden anschließend für erweiterte inverse Dynamikanalysen und deren Visualisierung in das 3D- Muskel-Skelett-Computermodell Myonardo© eingespeist. Die Maximalwerte des Kraftvektors in dem zusammengesetzten Gelenk, das die Lendenwirbelsäule darstellt, wurden berechnet und für die statistische Analyse verwendet. Dazu wurden die auf die Lendenwirbelsäule einwirkenden Muskelkräfte mithilfe eines Optimierungsalgorithmus berechnet. Die Gesamtbelastung auf die Lendenwirbelsäule wurde in Relation zum jeweiligen Körpergewicht ermittelt, um die Ergebnisse miteinander vergleichen zu können. Die drei unterschiedlichen Hebetechniken: Freestyle Lifting, Squat Lifting und Stoop (Dreischarf et al. 2016; von Arx et al. 2021) Darstellung einer Belastungskurve (in Newton) der Lendenwirbelsäule (LWS) und anschauliche Visualisierung durch Myonardo©. Die Kreise zeigen die Belastung der Gelenke an: grün: geringe Belastung, gelb: moderate Belastung, rot: hohe Belastung. Vor allem in der LWS und den Gelenken der unteren Extremitäten ist die Belastung hoch. Freestyle Lifting Squat Lifting Stoop Lifting A B B B A A
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