Interdisziplinäre Fachbeiträge 28 AGR aktuell 2024/72 | Aktion Gesunder Rücken e. V. Die meisten der für Bürotätigkeiten zur Verfügung stehenden Arbeitsstühle weisen trotz vielseitiger Werbeversprechungen für die Rückengesundheit traditionsbasierte ergonomische Paradigmen auf. Diese basieren auf einem orthopädisch-biomechanischen Ideal und begünstigen eine passive und somit unphysiologische Sitzhaltung. Dieses „Sedentary behavior“ umschreibt ein bewegungsarmes Sitzverhalten mit geringem Energieverbrauch, welches ein rücken- und stoffwechselgesundes Arbeiten verhindert. Mit dem metabolischen Äquivalent (MET) kann der Energieumsatz eines Menschen bei verschiedenen Aktivitäten miteinander verglichen werden. Eine geringe körperliche Aktivität geht mit einem MET von < 3 einher. In ausschließlich sitzender und/oder angelehnter Haltung wird ein Energieumsatz von ≤ 1,5 MET erreicht. Der metabolische Aufwand typischer Büroaufgaben (z. B. Lesen, Tippen und Papiersortieren) ist auf < 1,5 METs beschränkt (Ainsworth et al. 2000; Burns et al. 2017; Schellewald et al. 2018) und damit auf einen sehr niedrigen Aktivitätslevel. Längeres Still-Sitzen bzw. Verharren in rigiden Sitzpositionen ist folglich für unsere komplexe (Stoffwechsel-)Physiologie besonders gesundheitsgefährdend (u. a. Levine 2015; Wilmot et al. 2012). Untersuchungen zur Auswirkung eines sedentären-inaktiven Verhaltens auf die Stoffwechselgesundheit stehen im Zuge zunehmender, über Jahrzehnte sich entwickelnder metabolischer Krankheitsbilder (Stichwort: „metabolisches Syndrom“) verstärkt im Fokus. Die besondere Erkenntnis: Das metabolische Syndrom hat weitaus gravierendere Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität als „Rückenschmerzen“ und betrifft bereits immer mehr junge Menschen im mittleren Lebensalter. Dynamisches Sitzen für das innere Gleichgewicht Der Arbeitsstuhl wird aber trotz Sitz-Steh-Lösungen sowie mahnender Hinweise, dass wir für ein längeres Sitzen nicht geschaffen sind, auch in der Zukunft eine dominante Rolle einnehmen. Daher brauchen wir dringend „intelligente“ Lösungen, welche die uns innewohnenden komplexen physiologischen Prozessabläufe zur Aufrechterhaltung unseres inneren Gleichgewichts während des Sitzens nicht blockieren, sondern unterstützen. Das bedeutet, dass gerade während längerer Sitz- einheiten die vielen unbewussten und intrinsisch gesteuerten Positionswechsel (Mikro- als auch Makrobewegungen) nicht blockiert sein dürfen. Sie müssen sich nach Bedarf frei entfalten können. Wirbelsäule und Becken sollten innerhalb der Hauptbewegungsachsen nach vorn und hinten sowie dosierter zirkulärer Mischbewegungen nach allen Seiten stets beweglich bleiben. Folglich ist eine Stuhl- bzw. Sitzflächenfunktion erforderlich, die die zur Aufrechterhaltung unserer stoffwechselphysiologischen Funktionen erforderliche bedarfskonforme Mobilität unterstützt und fördert. AGR-zertifizierte Aktiv-Bürostühle und Aktiv-Stühle der Hersteller aeris, Bergardi, Dauphin, Haider Bioswing, Moizi, Sedus, Topstar und VS bieten beispielsweise diese dynamischen Lösungsansätze. Gesundes Sitzverhalten heißt nicht nur die Position verändern Komplexe Sitzverhaltensweisen gehen über die inflationären Empfehlungen zum dynamischen oder bewegten Sitzen, wie sie unter anderem bei der Synchronmechanik von Bürostühlen beziehungsweise den Empfehlungen zu regelmäßigen Sitzpositionswechseln stets beworben werden, hinaus. Diesen Empfehlungen liegt ein lineares Grundverständnis mit einer geringen Vielfalt an spontanen Sitzvariationen in den Raumdimensionen zugrunde. Komplexe und damit gesunde Sitzverhaltensweisen können aber nicht empfohlen oder vermittelt werden! Sie müssen sich auf der Grundlage körperlicher, geistiger oder emotio- >> Warum wir auch im Sitzen in Bewegung bleiben sollten Aktives Sitzen fördert das Zusammenspiel von Nerven und Muskulatur Dieter Breithecker I Gesundheits- und Bewegungswissenschaftler
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