AGR aktuell Ausgabe 70

49 Berichte aus den Verbänden AGR aktuell 2023/70 | Aktion Gesunder Rücken e. V. interventionellen Maßnahmen abgeraten. Im Zuge einer Sekundärprävention stehen Edukation und Übungs- bzw. Trainingstherapie im Vordergrund. Leider besteht nach wie vor (in allen Berufsgruppen, auch in der Physiotherapie) eine hohe Rate an nicht evidenzbasierten Ansätzen, welche in allen Einkommensstufen der Betroffenen zu beobachten ist. Vielversprechend ist jedoch die Implementierung von Präventionsprogrammen, Best-Practice-Modellen, die Umsetzung hochwertiger Guidelines und eine Anpassung des Finanzierungssystems, welche in den letzten Jahren auch in Österreich zu erkennen ist, wenn man auf Initiativen der Österreichischen Schmerzgesellschaft, unter anderem in Kooperation mit Physio Austria oder dem Studiengang Physiotherapie an der FH Joanneum Graz, sieht. International ist die Umsetzung dieser Interventionen vor allem in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen notwendig (Foster et al. 2018). Wesentliches Ziel in jeder Phase dieses multifaktoriellen Geschehens sollte es sein, die Selbstverantwortung und Eigeninitiative der Betroffenen zu stärken. Dazu benötigt es selten einen übertrieben großen Aufwand im Sinne einer Vielzahl an Therapien oder Anwendungen wie Massagen, Elektrotherapie, Infiltrationen oder überbordend vielen Bewegungsübungen. Gesundheitskompetenz fördern Um die Selbstverantwortung der Betroffenen zu stärken, ist ein solches Überangebot an Therapiemaßnahmen überflüssig. Hilfreich ist hingegen ein positiver Gesundheitszugang auf Basis eines Salutogenese-Modells im Rahmen der Behandlung von Low Back Pain. Wesentlich ist die Vermeidung von nutzlosen und eher gefährdenden Behandlungsmethoden und ein Umdenkprozess im Sinne einer Aufklärung der Bevölkerung. Diese Erweiterung der sogenannten Gesundheitskompetenz (health literacy) inkludiert dabei unter anderem auch den Abbau von geläufigen Beliefs, das heißt Glaubenssätzen, dominant bezogen auf veraltete strukturspezifische Modellen (O’Sullivan 2011). Die Politik, der öffentliche Gesundheitssektor, Beteiligte des Gesundheitssystems, aber auch Arbeitgeber müssen dabei zu einem Umdenken bewegt werden. Dieses Umdenken sollte für alle Berufsgruppen auch in der Akutversorgung zu einer Anpassung des Managements führen und damit zu einer tatsächlichen Prävention chronischer Verläufe beitragen (Buchbinder et al. 2018). Zusammenfassend liefert Physiotherapie einen Beitrag im Rahmen des Managements akuter und anhaltender Rückenschmerzen, mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten, jedoch stets auf Basis eines umfassenden funktionellen und psychosozialen Screenings. Es bestehen aber auch Grenzen für Physiotherapeuten, wie auch für andere Berufsgruppen, wenn man davon ausgeht, ein multifaktorielles Geschehen wie Rückenschmerz allein und ohne dementsprechende Kommunikation untereinander bewerkstelligen zu können. Eigeninitiative und Selbstverantwortung sind nicht nur als Managementziel zu verstehen, sondern können bereits präventiv hervorgehoben werden. Regelmäßige Aktivität, Kraft- und Ausdauersport, welcher mit Freude durchgeführt wird, und die Berücksichtigung von Life-Style-Faktoren wie Stressmanagement, ausreichender und qualitativ hochwertiger Schlaf, ausgewogene Ernährung und Reflexion des eigenen Alkohol- und Tabakkonsums sind womöglich die Schlüsselaspekte und weniger eine gerade und korrekte Sitzhaltung, sofern es eine solche überhaupt gibt (Polli et al. 2019; Wyns et al. 2023). Literatur >> Buchbinder R, van Tulder M, Öberg B et al. Low back pain: A call for action. Lancet 2018; 391(10137): 2384–2388. >> Foster NE, Anema JR, Cherkin D et al. Prevention and treatment of low back pain: Evidence, challenges, and promising directions. Lancet 2018, 391(10137): 2368–2383. >> Hartvigsen J, Hancock MJ, Kongsted A et al. What low back pain is and why we need to pay attention. Lancet 2018; 391(10137): 2356–2367. >> Hasenbring MI, Chehadi O, Titze C et al. Fear and anxiety in the transition from acute to chronic pain: There is evidence for endurance besides avoidance. Pain Management 2014; 4(5): 363–374. >> Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Kurzfassung, 2. Auflage. Version 1, 2017. >> O’Sullivan P. It's time for change with the management of non-specific chronic low back pain. Br J Sports Med 2012; 46(4): 224–7. >> O’Sullivan P, Caneiro JP, O’Keeffe M et al. Unraveling the Complexity of Low Back Pain. J Orthop Sports Phys Ther 2016; 46(11): 932–937. >> Polli A, Nijs J, Ickmans K et al. Linking Lifestyle Factors to Complex Pain States: 3 Reasons Why Understanding Epigenetics May Improve the Delivery of Patient-Centered Care. J Orthop Sports Phys Ther 2019; 49(10): 683–687. >> Vlaeyen JWS, Linton SJ. Fear-avoidance and its consequences in chronic musculoskeletal pain: A state of the art. Pain 2000; 85(3): 317–332. >> Wyns A, Hendrix J, Lahousse A et al. The Biology of Stress Intolerance in Patients with Chronic Pain—State of the Art and Future Directions. J Clin Med 2023; 12(6): 2245. ' Kontaktinformationen Physio Austria Bundesverband der Physiotherapeut*innen Österreichs 1080 Wien Österreich Tel.: +43 (0)1 5879951-610 www.physioaustria.at Bernhard Taxer

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