AGR aktuell Ausgabe 70

Interdisziplinäre Fachbeiträge 28 AGR aktuell 2023/70 | Aktion Gesunder Rücken e. V. Schmerzen können qualvoll sein, mindern die Lebensqualität und beeinträchtigen die psychische Verfassung, kurzum: Der Schmerz muss weg. Dennoch ist er sinnvoll, hilft uns sogar zu überleben und sollte uns in jedem Falle aufmerksam machen für unseren Körper. Das Schmerzmodell nach Descartes ist nicht mehr zeitgemäß Leider ist der Umgang mit dem Schmerz und auch die Therapie häufig zu wenig an dem orientiert, was wir heutzutage über Schmerzen wissen bzw. wissen sollten. Noch immer beruft man sich auf das seit 1664 (!) bestehende Schmerzentstehungsmodell von René Descartes: In diesem Modell leitet eine Schmerzfaser einen Schmerzreiz in das Schmerzzentrum des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), und es tut weh. Schmerzverursacher ist also der Ort, an dem in der Regel ein Gewebeschaden entsteht. Gehirn und Rückenmark sind einfach Empfänger des Schmerzes. Dieses Modell wurde ursprünglich von dem Philosophen René Descartes entwickelt und findet bis heute Anhänger in bestimmten Disziplinen des chronischen Schmerzmanagements, insbesondere in vielen konventionellen Schmerztherapien, die weiterhin nach „Schmerzerzeugern“ für mutmaßliche Gewebeschäden suchen (zum Beispiel degenerative Veränderungen der Wirbelsäule) und des umgebenden peripheren Nervensystems. Dieses alte Modell des Schmerzes scheint nach gesundem Menschenverstand auch logisch: Wir verletzen uns beispielsweise, indem wir bei einem Sturz aufs Knie fallen. Das Knie als Schmerzstelle kann somit leicht mit der Schmerzursache gleichgesetzt werden: Was den Schmerz erzeugt, ist der kurzfristige hohe Druck auf die Kniestrukturen. Die peripheren Nerven um das Knie nehmen den Gewebeschaden auf und senden diese Information in Form von Schmerzsignalen über das Rückenmark an das Gehirn. Das Zentralnervensystem (Rückenmark und Gehirn) dient als sekundärer Empfänger des Schmerzes. Seine Aufgabe ist es, den Schmerz als eine bewusste Erfahrung zu registrieren – wir werden uns des Schmerzes im Knie bewusst. Aus dieser Sicht kommt es in erster Linie auf den Schmerzerreger der Gewebeschädigung und der umgebenden peripheren Nerven im Bereich der Gewebeschädigung am Knie an. Das ZNS ist nicht nur ein passiver Empfänger von Schmerzsignalen Im Laufe der Zeit bemerkten die Wissenschaftler aber, dass dieses alte Schmerzmodell nur für wenige Fälle zur Erklärung geeignet ist. Bahnbrechende Erkenntnisse brachten daraufhin Studien mit Phantomschmerz-Patienten. Phantomschmerzen sind Schmerzen in einer amputierten Extremität, wie beispielsweise in einem Arm, der schon vor Jahren amputiert wurde. Der Schmerzauslöser – der Arm – ist also gar nicht mehr vorhanden. Der Schmerz im „Phantomarm“ ist dennoch durchaus echt, schmerzhaft und zermürbend. Dieses Phänomen veranlasste zu erkennen, dass das zentrale Nervensystem mehr sein musste als ein passiver Empfänger von Schmerzsignalen von der Verletzungsstelle. Der tatsächliche Auslöser von Schmerz musste >> Schmerzen verstehen und a(A)ntworten lernen Ein neues Schmerzverständnis mit biopsychosozialem Ansatz Petra Mommert-Jauch I Diplomsport- und Gesundheitswissenschaftlerin, Leiterin der ISR-Gesundheitsakademie e. V.

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